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oxide skin

Marc Botschen / Eden Dodd / Georges

Jun 1st - Jul 7th, 2024
Opening / May 31st, 7PM

Finissage: 7.7., 7 PM

Marc Botschen @marc_botschen
Eden Dodd @delicatelyspirallingupwards
Georges @onc.ysch

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Identität als fortlaufender, ergebnisoffener Prozess der Identifikation (im Gegensatz zu einer von Geburt an feststehenden Größe) sowie Akte der Dekonstruktion, Umdeutung und Neuzuordnung stehen im Zentrum der Ausstellung Oxide Skin.

Marc Botschens Triptychon „Schnörkel / Unterschrift“ sowie die monochromen Aluminium-Arbeiten „Mutter des Vaters“, „Die Richtigkeit“ und „Vater von“ (alle 2024) resultieren aus Botschens Auseinandersetzung mit Fragen der Herkunft und der Identität. Ausgangspunkt beider Werkgruppen ist der Ahnenpass seines Urgroßvaters – ein Dokument, das zwischen 1933 und 1945 für alle Bürger:innen des Deutschen Reiches verpflichtend war und anhand dessen die „arische Abstammung“ festgestellt werden sollte. Als bearbeitetes Digitalisat wird dieses Dokument durch das Aufeinanderschichten von insgesamt 64 Seiten verfremdet. Botschen bezieht sich hier auf die Composite – Fotografie, die der Rassenideologe und Begründer der Eugenik Francis Galton ab 1877 einsetzte um seine Vererbungslehre zu verifizieren: Das mehrmalige Belichten einer fotografischen Platte mit beliebig vielen Porträts einer Personengruppe sollte die vermeintlich gemeinsamen Züge dieser Gruppe hervorheben. In Botschens Arbeit treten durch das digitale Aufeinanderlegen der einzelnen Seiten grafisch und textlich dominante Strukturen auf, es entstehen ornamental anmutende Gebilde, die hier und da Schriftzüge erkennen lassen. Aus dem Dokument, das eine Person auf seine Herkunft reduzierte und entscheidend für das Schicksal der jeweiligen Person war, ist ein Tohuwabohu aus amorphen Strukturen und aus dem Zusammenhang gerissenen, einzelnen Wörtern geworden. Auflösung statt Festschreibung, Offenheit statt Eindeutigkeit. Insbesondere die Aluminium-Arbeiten verdeutlichen die Aktualität dieser Thematik: Der sich in der Oberfläche der Arbeit spiegelnde Raum, das schemenhafte Spiegelbild der Betrachtenden lässt darüber nachdenken, welche Macht und Privilegien (aber auch welche Verantwortung) von den „mächtigen“ Herkunftsnachweisen heutzutage ausgehen.

Auch Eden Dodds Arbeit „Exit Wound“ (2023) beschäftigt sich mit Identität. Der zerbrochene Spiegel zersetzt unser Spiegelbild, erzeugt Verschiebungen und Unterbrechungen. Dodd, deren künstlerische Praxis aus eigenen Erfahrungen und Erlebnissen schöpft, stellt hier die Annahme infrage, dass sich unsere Wahrnehmung mit der Wirklichkeit deckt. Es geht sowohl um unterschiedliche Wahrnehmungswelten – der des Mannes und jener der Frau – als auch um Fragen der Wahrnehmung – der Selbstwahrnehmung ebenso wie der Wahrnehmung durch andere. Entstanden durch einen Akt der Zerstörung, wird die Arbeit weiterhin zu einem eindrücklichen Bild für den sensiblen Vorgang der Veränderung: Die Transition geht einher mit tiefgreifenden Verletzungen, die von politischen und soziologischen Strukturen hervorgerufen werden. Der Titel „Exit Wound“, zu deutsch „Austrittswunde“ deutet an, dass ein fremdes Element den Körper verlassen hat, jedoch ohne die Arbeit hierdurch auf eine einzige Lesart festzuschreiben. Im Gegenteil: Das Moment des Gewaltvollen, Schmerzhaften geht einher mit dem Moment des Neuanfangs. Die unweigerlich aufkommende Assoziation mit einem Spinnennetz lässt sich als Metapher für das schützende Netz verstehen, das es für einen solchen Prozess der Befreiung bedarf.

Der Übergang von einem Zustand zum anderen und die Betonung des Prozesshaften dieser Veränderung sind wichtige Aspekte der Plastik „Struttura Tectonica“ (2024). Der Künstler Georges nutzt gefundene Alltagsobjekte aus Aluminium-Verschnitt, Abfälle und ausrangierte Teile – als Ausgangspunkt für seine „transformatischen Objekte“, die durch Assemblage oder durch Einschmelzen und wiederholtes Gießen entstehen. Die Form findet sich intuitiv im Laufe der Herstellung der Plastik und das so entstandene Objekt wird seinerseits wiederum zum Ausgangspunkt weiterer Veränderung: Oftmals werden die einzelnen Plastiken abermals eingeschmolzen oder auseinandergebaut und zu neuen Formationen zusammengesetzt oder gegossen. Dieser mehrmaligen Verwertung liegt eine Wertschätzung und Würdigung des Materials zugrunde, die einhergeht mit einer besonderen Wertung des „fertigen“ Objekts durch den Künstler: „Fertig“ ist hier als ein vorübergehender Zustand zu verstehen, der jederzeit von einem erneuten Wandel abgelöst werden kann.

Text: Ferial Nadja Karrasch

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The exhibition „Oxide Skin“ focuses on the dynamic and open-ended process of identity formation, contrasting with the notion of a fixed identity determined at birth. It emphasizes acts of deconstruction, reinterpretation, and reallocation.

Marc Botschen‘s works, including the triptychs „Schnörkel / Unterschrift“ (Ornament / Signature) as well as the monochrome aluminum pieces „Mutter des Vaters“ (Mother of the Father), „Die Richtigkeit“ (The Correctness), and „Vater von“ (Father of) (all 2024), result from Botschen‘s engagement with questions of origin and identity. The starting point for both series is the ancestral passport of his great-grandfather—a document mandatory for all citizens of the German Reich between 1933 and 1945, used to verify „Aryan descent.“ As a digitally altered version, this document is transformed by layering a total of 64 pages. Botschen refers to composite photography, used by racial ideologist and eugenics founder Francis Galton from 1877 to verify his heredity theories: repeatedly exposing a photographic plate with multiple portraits of a group was meant to highlight the supposedly common features of that group. In Botschen‘s work, the digital layering of individual pages reveals dominant graphical and textual structures, creating seemingly ornamental formations that occasionally reveal fragments of text. The document, which once reduced a person to their origin and determined their fate, has become a chaotic mix of amorphous structures and disconnected words. Dissolution instead of fixation, openness instead of definiteness. The aluminum works especially highlight the contemporary relevance of this theme: the reflected space on the surface, along with the indistinct reflection of the viewer, prompts consideration of the power and privileges (but also the responsibilities) associated with today‘s „powerful“ proofs of origin.

Eden Dodd‘s work „Exit Wound“ (2023) also deals with identity. The broken mirror fragments our reflection, creating shifts and interruptions. Dodd, whose artistic practice draws from personal experiences, questions the assumption that our perception aligns with reality. It addresses both different worlds of perception—those of men and women—and issues of perception—self-perception and how we are perceived by others. Created through an act of destruction, the work becomes a poignant image of the sensitive process of change: transition involves deep wounds caused by political and sociological structures. The title „Exit Wound“ suggests that a foreign element has left the body, without reducing the work to a single interpretation. On the contrary, the moment of violence and pain coincides with the moment of a new beginning. The inevitable association with a spider web can be seen as a metaphor for the protective net needed for such a process of liberation.

The transition from one state to another and the emphasis on the process of this change are important aspects of the sculpture „Struttura Tectonica“ (2024). Artist Georges uses found everyday objects made of aluminum—scraps, waste, and discarded parts as the starting point for his „transformational objects,“ which are created through assemblage or by melting and repeatedly casting them. The form is intuitively discovered during the creation of the sculpture, and the resulting object becomes the starting point for further change: often, the individual sculptures are melted down or dismantled again and reassembled or recast into new formations. This repeated reuse reflects an appreciation and respect for the material, which goes hand in hand with a particular valuation of the „finished“ object by the artist: „Finished“ is understood here as a temporary state, always subject to further transformation.

Text: Ferial Nadja Karrasch