Ich sehe was, was Du nicht siehst

Lena Schramm

Mar 15th - Apr 25th, 2025
Opening / Mar 14th, 7 PM

Information

lenaschramm.de
@lena.schra.mm

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So viel ist allgemein bekannt: Lena Schramm ist Malerin und Bildhauerin. Als solche kann sie auch eine begnadete Erzählerin von Witzen sein (dazu später mehr). Aber für das Verständnis der Arbeiten in ihrer ersten Solo-Ausstellung bei PAW könnte eine andere Information ebenfalls nützlich sein: Schramm hat eine kunsthistorische Abschlussarbeit über Vexierbilder geschrieben. Über Darstellungen also, die mindestens zwei Bedeutungen haben: eine offenkundige und eine verborgene. Kippbilder. Die unbetitelten kleinformatigen Malereien in dieser Ausstellung sind solche Kippbilder.

In jeweils zwei Farben zeigen sie immer das gleiche Motiv. Doch was die Betrachterin darin erblickt, bleibt ihr überlassen. Es könnte ein Tropfen sein, der wie in der Fernsehwerbung für Jacobs „Krönung“ in Zeitlupe in die Höhe springt. Es könnte sich genauso gut um einen Sonnenaufgang handeln oder ein Gesäß, betrachtet aus einer eher unorthodoxen Perspektive – oder etwas vollkommen anderes. Ich sehe was, was du nicht siehst. Was Lena Schramm hier am Beispiel dieser Serie zeigt, ist etwas, das nicht nur in der Kunst, sondern in allen Bereichen des Lebens schnell in Vergessenheit gerät: Andere Gehirne machen andere (visuelle) Erfahrungen und keine ist per se korrekter als die andere. Insofern sind diese Bilder so etwas wie Rorschachtests, anhand derer sich Mini-Psychogramme der vor ihnen stehenden Personen anfertigen und miteinander vergleichen ließen.

Mindestens genauso bemerkenswert wie das in seiner unklaren Bedeutung schwebende Motiv ist die Textur dieser Bilder. Die Ölfarbe ist so pastos aufgetragen und mit Furchen versehen, dass die Malereien in die dritte Dimension wachsen und eine fast skulpturale Qualität bekommen. Und nicht nur das: Den Bildern selbst wächst durch den großzügigen Farbauftrag an der Unterkante ein Pelz.

Damit korrespondieren sie mit einer anderen Arbeit in der Ausstellung: der Kojotenquetsche. Die Skulptur besteht aus dem abgezogenen Kopffell des auch als Steppenwolf bekannten Tieres, eingeklemmt zwischen zwei Pflastersteinen. Das ist höchst bedauerlich für den armen Kojoten, tritt als Objekt aber eine ganze Kaskade an Assoziationen los. Erstens: Was auch immer du sehen magst, der Kojote sieht es nicht, weil seine Augen mit eingequetscht wurden. Zweitens erinnert ein Kojote im Kunstkontext unweigerlich an Joseph Beuys’ performative Arbeit von 1974 I like America and America likes me, für die der in Filz gehüllte Künstler drei Arbeitstage lang mit einem dieser Tiere – einem Symbol für die spirituelle Welt der amerikanischen Indigenen – in einer Galerie verbrachte.

So, wie Beuys mit seiner Performance das nicht aufgearbeitete Trauma der Native Americans thematisierte, lässt sich der Schramm’sche Quetschkojote als Kommentar auf die politischen Verhältnisse in den USA zu Zeiten des fortgeschrittenen Trumpismus lesen. Drittens – und hier kommen wir nun endlich zum Witz im Werk von Lena Schramm – wirkt das Objekt wie ein Standbild aus einem Trickfilm. Eben stand Karl, der Kojote, noch vergnügt auf zwei Beinen in einer bunten Cartoon-Landschaft, weil er eine Steinschleuder auf seinem Widersacher, den Road Runner, gerichtet und sie scharfgestellt hat, als ihm der Felsen auf die eigene Birne plumpst. Man meint, den Aufprall geradezu hören zu können.

Überhaupt Cartoons: Schramm hat eine Schwäche für niedliche Figuren mit menschlichem Antlitz. Kommt dann noch Nostalgie hinzu, können die meisten Menschen fast nicht anders, als verzückt zu sein. Wir sind dem Charme des Michelin-Männchens, dem Hotdog, der sich selbst mit Ketchup und Senf bespritzt, und den großäugigen Eistüten mit ihren pastellfarbenen Eiskugelfrisuren geradezu hilflos ausgesetzt. Schramm aber interessiert sich für den Punkt, an dem ihre Niedlichkeit in etwas anderes umkippt. Wo wird sie zu Brutalität, wo beginnt sie wehzutun?

Auch die Dusch-Objekte scheinen direkt aus einem Trickfilm zu stammen. Dick quillt die Farbe aus den Armaturen, wobei unklar bleibt, woher sie eigentlich stammt. Denn bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass die Konstruktionen gar keinen Anschluss besitzen und es sich um geschlossene Kreisläufe handelt. Bei ganz genauer Betrachtung muss sogar auffallen: Hier fließt gar nichts, vielmehr wirkt das Ganze wie eingefroren. Wie ein Standbild wie aus einem Cartoon, bei dem jemand die Pausentaste gedrückt hat.

91 Lösungen dann spielt mit einem Versprechen. Die Serie gefundener Behältnisse mit Haushalts- und Handwerksmittel wie Bohnerwachs, Pinselreiniger und Insektizid suggeriert, dass es für jedes Problem ein Gegenmittel gibt, handlich verpackt in einer Flasche und nur der Form halber mit einem Warnhinweis versehen. Aus dem gleichen Grund, warum von dieser Serie Optimismus ausgeht, lieben viele Menschen mutmaßlich Baumärkte. Hier werden die Dinge angepackt, für jede noch so knifflige Herausforderung gibt es scheinbar ein Werkzeug, einen Kleber oder eben eine Flasche mit etwas Übelriechendem. Viele der 91 Lösungen, die Schramm in alten Werkstätten, Kellern und Gartenschuppen findet, stammen dabei aus vergangen Jahrzehnten. Die von der Zeit angefressenen Behältnisse verdeutlichen, dass sich der Mensch immer zugleich mit der Gegenwart, der Vergangenheit und der antizipierten Zukunft konfrontiert sieht. Die Lösungen von damals beschäftigen uns noch heute und werden es auch morgen tun.

Der Umstand, dass viele dieser Flüssigkeiten im wahrsten Sinne des Wortes toxisch sind, erinnert daran, das die meisten vermeintlichen Wunderlösungen, von wem auch immer sie präsentiert werden, eine dunkle, wenn nicht sogar schädliche Rückseite aufweisen – und damit wieder nur neue Probleme schaffen. Im Kosmos Lena Schramms stehen die alten „Lösungen“ somit für all das Halbverbrauchte, mittlerweile Nutzlose, Ausgestoßene. All jenes, das früher vielleicht einmal nützlich war, nun aber zum Sondermüll gehört. Wer hier also Grund für Optimismus sieht, dem sei geraten, noch einmal genauer hinzuschauen.

Zwischen die gefundenen Objekte mischt Schramm selbst angemischte Flüssigkeiten. Statt patenter Namen wie Fit, Brillux oder Quick-Mix steht auf ihren Etiketten etwa Alphamoderne, High Sobriety oder Erdung. Was man für ein Lexikon der Gegenwartsbegriffe halten könnte, sind die Titel vergangener Ausstellungen der Künstlerin, die sie aus Anlass der aktuellen Schau gewissermaßen verflüssigt hat. Dabei hat Schramm für jeden Ausstellungstitel die passende Substanz abgefüllt: High Sobriety handelte von Nüchternheit, in der Flasche befindet sich selbstverständlich Mineralwasser, wohingegen Ecstasy kuschlig machenden Weichspüler enthält. Und was wäre ein besseres Sinnbild für die Vorstellung von einer von aggressiver hegemonialer Männlichkeit beherrschte Alphamoderne als ein Proteinshake. Auch die vorliegende Ausstellung kommt hier schon verflüssigt vor. In der Flasche mit der Aufschrift Ich sehe was, was du nicht siehst befindet sich, klar: Scheibenklar. Wie gesagt: Lena Schramm erzählt nichts so gern wie Witze. Und zwar nicht zum Selbstzweck, sondern als Strategie. Was als Albernheit, Unernst oder harmlos scheidende Niedlichkeit daherkommen mag, hat immer eine subversive, sogar anarchische Seite. Denn im Witz wohnt die Aufmüpfigkeit, der Widerstand und eine nicht klein zu kriegende Freiheit.

Text: Anne Waak

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One thing is generally known: Lena Schramm is a painter and sculptor. As such, she can also be a gifted teller of jokes (more on that later). But another piece of information might also be useful for understanding the works in her first solo exhibition at PAW: Schramm wrote an art history thesis on puzzle images, depictions that carry at least two meanings: one obvious and one hidden. Ambiguous images. The small, untitled paintings in this exhibition function as such ambiguous images.

Each is painted in two colors, always showing the same motif. But what the viewer perceives in them is left to their own interpretation. It could be a drop of liquid, leaping upward in slow motion like in a Jacobs Krönung coffee commercial. It could just as well be a sunrise, or a pair of buttocks viewed from an unorthodox angle — or something else entirely. I spy with my little eye… What Lena Schramm demonstrates with this series is something that is often forgotten not only in art but in all aspects of life: Different brains create different (visual) experiences, and none is inherently more correct than the other. In this sense, these paintings function like Rorschach tests, offering a way to create and compare mini-psychograms of the people standing before them.

Just as remarkable as the floating ambiguity of the motif is the texture of these paintings. The oil paint is applied so thickly, with deep furrows, that the paintings extend into the third dimension, taking on an almost sculptural quality. And not just that: thanks to the generous application of paint along the lower edge, the paintings themselves appear to sprout fur.

This connects them to another work in the exhibition: the Koyotenquetsche. The sculpture consists of the peeled-off head pelt of a coyote—also known as a prairie wolf—trapped between two paving stones. This is, of course, deeply unfortunate for the poor coyote, but as an object, it sets off a cascade of associations. First: Whatever you see, the coyote does not — its eyes have been crushed. Second: In an art context, a coyote inevitably brings to mind Joseph Beuys’ 1974 performance I Like America and America Likes Me, in which the felt-clad artist spent three working days in a gallery with one of these animals which is a symbol of the spiritual world of Indigenous Americans.

Just as Beuys used his performance to address the unresolved trauma of Native Americans, Schramm’s crushed coyote can be read as a commentary on the political state of the U.S. in the later years of Trumpism. Third — and here we finally arrive at the humor in Schramm’s work — the object resembles a still frame from a cartoon. Just moments ago, Karl the Coyote was standing upright, happily wielding a slingshot aimed at his adversary, the Road Runner, when suddenly, a rock comes crashing down on his own head. You can almost hear the impact.

Speaking of cartoons: Schramm has a soft spot for cute characters with human-like faces. And when nostalgia is added to the mix, most people can hardly resist their charm. We are almost defenseless against the appeal of the Michelin Man, the hotdog squirting ketchup and mustard onto itself, and the big-eyed ice cream cones with their pastel-colored scoops for hair. But Schramm is particularly interested in the moment when this cuteness tips into something else. Where does it become brutal? Where does it start to hurt?

The shower objects in the exhibition seem straight out of a cartoon as well. Thick paint oozes from the fixtures, though its source remains unclear. Upon closer inspection, it becomes evident that these constructions are not connected to any plumbing—they are closed circuits. And with very close examination, one might even realize: Nothing is flowing at all. Rather, the whole thing appears frozen in time—like a still frame from a cartoon where someone has hit the pause button.

91 Lösungen plays with a promise. This series consists of found containers of household and hardware supplies like floor wax, paint thinner, and insecticide, suggesting that there is a remedy for every problem—neatly packaged in a bottle, complete with a warning label for formality’s sake. This same illusion of problem-solving is what draws so many people to hardware stores. Here, things get done. For every challenge, no matter how tricky, there seems to be a tool, a glue, or — failing that — a bottle of something foul-smelling.

Many of Schramm’s 91 Lösungen, found in old workshops, basements, and garden sheds, date back decades. Their timeworn containers highlight a fundamental truth: Humanity is always navigating the present, the past, and an anticipated future simultaneously. Yesterday’s solutions still concern us today — and will continue to do so tomorrow. The fact that many of these liquids are, in the truest sense, toxic, serves as a reminder that most so-called miracle solutions, whoever may be selling them, come with a dark, if not outright harmful, flip side, creating new problems in their wake. In Lena Schramm’s artistic world, these old “solutions” stand for everything that is half-used, now useless, discarded. Everything that may once have been helpful but now belongs in the hazardous waste bin. Anyone who sees cause for optimism here might want to take another, closer look.

Schramm intersperses these found objects with liquids she has mixed herself. Instead of brand names like Fit, Brillux, or Quick-Mix, her labels read Alphamoderne, High Sobriety, or Erdung. What might seem like a lexicon of contemporary buzzwords is actually a liquefied archive of her past exhibitions. For each exhibition title, Schramm has bottled an appropriately symbolic substance: High Sobriety was about soberness, so the bottle naturally contains mineral water, while Ecstasy holds softener to make things cozy. And what could better represent Alphamoderne, with its critique of aggressive hegemonic masculinity, than a protein shake? Even this current exhibition appears here in liquid form: The bottle labeled Ich sehe was, was du nicht siehst fittingly contains window cleaner.

As mentioned: Lena Schramm loves telling jokes. But not just for the sake of it — rather, as a strategy. What might initially seem like silliness, lightheartedness, or harmless cuteness always harbors a subversive, even anarchic, side. Because humor carries defiance, resistance, and an irrepressible sense of freedom.

Text: Anne Waak

All rights reserved. © PAW, 2025Imprint

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